Mittwoch, 27. Dezember 2006

„Projekt Menschheit“ wird zur Chefsache

Wieder einmal standen die Engel im Gespräch beisammen. Und wieder machte sich Hoffnungslosigkeit auf ihren Gesichtern breit. Wie oft hatten sie doch in letzter Zeit diskutiert, ihr Gehirn angestrengt, nachgedacht und sich ausgetauscht – aber das „Projekt Menschheit" war und blieb hoffnungslos. Mancher aus der Schar hatte sich schon deprimiert aus der Gemeinschaft zurückgezogen. Es hatte ja doch alles keinen Zweck… Andere rieten zu heftigen Gegenmaßnahmen: Eine Sintflut – so hatte der Chef versprochen – würde es nie wieder geben. Aber dafür gab es wohl noch andere Mittel, um diese verstockten Menschen zur Vernunft zu bringen. Und überhaupt, was bildeten die sich wohl ein, ohne den Allmächtigen ihr Leben gestalten und einrichten zu wollen. Dabei ging es ja schon sehr lange wirklich schief - in allen Bereichen.

Ein Kind als Antwort

Auf einmal sahen sie Gabriel von der wöchentlichen Lagebesprechung bei Gott zurückkommen. Er sah so anders aus. Fast, als ob er ziemlich durcheinander sei. „Was ist denn los mit dir?", fragten ihn seine Kollegen. Da brach es – leise und zitternd – aus ihm heraus: „Die Antwort ist ein Kind! Er will ihnen ein Baby schicken!" Und dann ging er mit leisen Schritten von ihnen weg. Er musste wohl mit dieser ungeheuren Nachricht erst einmal selbst fertig werden…

Sünde = "Zielverfehlung"

Der Mensch hat sein eigentliches Ziel verfehlt, das Gott ihm gegeben hatte. In den ersten Kapiteln der Bibel wird berichtet, wie die Sünde in diese Welt gekommen ist (1. Mose 1-3). Der Mensch hat sich gegen Gott aufgelehnt. Anstatt zu tun, was Gott ihm gesagt hat, tat er, was die Schlange ihm sagte. Und die Folgen davon spürte er recht bald. Die enge Gemeinschaft mit Gott war zerstört. Der Mensch wollte sein Leben selbst in die Hand nehmen, und jetzt musste er die

Sünde – ein altmodischer Begriff?

Die Begebenheit ist natürlich ausgedacht, aber es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten der Schöpfer im Grunde hatte, als es mit seinen Geschöpfen aus dem Ruder lief. Einfach bestrafen, vernichten, die Erde von ihnen reinigen? Das hatte nach der Sintflut auch nicht funktioniert. Menschen scheinen auf Druck, harte Gesetze und Strafandrohungen trotzdem nicht ihren Lebensstil zu verändern. Anders ausgedrückt: Sie können´s einfach nicht lassen. (siehe Kasten rechts)

Nicht verwöhnt

Da hatte Gott eine wirklich durchschlagende Idee: Er selbst würde in der Gestalt eines Menschen, als kleines, hilfloses und schutzbedürftiges Baby auf die Erde kommen, um den Menschen in ihrer Sprache von der Allmacht und Liebe Gottes zu erzählen. Das Kind würde nicht in einer reichen Königfamilie geboren werden. Dieses Baby würde nicht auf Rosen gebettet sein, sondern in einer armen Familie aufwachsen. Es würde nicht – von Bodyguards begleitet – zur Schule oder zum Shoppen gehen, sondern den bodenständigen Beruf eines Zimmermanns erlernen und früh Verantwortung für die Familie übernehmen.

Josefs Augen


„Psst, leise", flüstert Maria sich selbst zu. Sie schiebt die alte Holztür auf, die die Stallhöhle nur halb verschließt. Es ist schwer für sie. Sie ist noch so jung und zart und das Kind erst wenige Stunden alt. Maria hat kaum Ruhe gefunden nach der Geburt. Der „Kreißsaal" ist ungemütlich und die Hirten waren die seltsamsten Besucher, die man sich denken kann: Laut und verlegen, stinkend nach Schaf und zart vor Ehrfurcht gegenüber dem Kind und seiner noch all zu jungen Mutter. Josef, ihr Josef, halb geliebt und halb gefürchtet, hatte es mit seinen Brummlauten und Gebärden vermocht, die scheue Begeisterung der Hirten zu lenken und schließlich verschwanden sie wieder im lauten Dunkel dieser besonderen Nacht.

Maria, war sich ihrer Gefühle für Josef noch immer nicht sicher. Aber als er vorhin auch den letzten Hirten freundlich, aber bestimmt hinausgeschoben und die Tür hinter ihm endlich geschlossen hatte, schaute die junge Maria ihren alten Josef dankbar und liebevoll aus ihren müden Mädchenaugen an. Er hatte gute Augen. Diese Augen liebte sie wirklich. Die Augen von Maria und Josef waren ihre größte Gemeinsamkeit: Groß und dunkel, suchend und wissend, warm und liebevoll.

Ansonsten waren die beiden sehr verschieden. Der Mann, schon reif an Jahren, bedächtig und genau, zurückgezogen und nach innen lauschend, weil Töne sein Ohr nicht durchdrangen. Dagegen das Mädchen, eben herangereift, lebens-, gar liebeshungrig, voll Lust auf Menschen und Erleben, mit fröhlichen Liedern und offen für alles, was lebendig war.

Aber was zählen solche Unterschiede, wenn es darum geht, die Zukunft eines Mädchens und den Stammbaum einer Familie zu sichern? Marias Familie ist arm, sie muss versorgt werden und eine große Mitgift war nicht drin. Josef aber ist durchaus angesehen: Ein Zimmermann! Das Geschäft läuft. Aber Josef ist – „taubstumm", „behindert". Manche sagen noch ganz andere Worte – dabei ist es so einfach und eindeutig:



Josef ist gehörlos.


Für ihn ist das kein Problem – für andere schon. Und Maria wurde nicht gefragt, ob sie das stören könnte oder nicht. Maria wurde einfach mit ihm verheiratet. So war das eben. Mit zwölf wird ein Mädchen religionsmündig und also heiratsfähig und Marias Familie war sehr froh, dass sich dieser erfolgreiche Zimmermann für die junge
Maria interessierte. Er wollte keine große Mitgift – er wollte Maria.

Stumm folgten seine dunklen Augen der Heranwachsenden schon lange. Er wusste: Sie wird die Gebärden lernen und sich auf seine Sprache einlassen. Aber danach fragen konnte er sie nicht. Der Heiratsvermittler klärte das Anliegen mit Marias Eltern und die waren froh über die gute Gelegenheit. Josef begegnet der jungen Maria mit großer Ehrfurcht. Er hält gebührend Abstand, nur mit seinen Augen umfängt er sie. Wie es sich gehört, will er seine Maria als Jungfrau zur Vermählung führen.

Und dann der Schock, als er bemerkt, dass seine jungfräuliche Braut zur schwangeren Frau geworden ist. Noch dunkler werden seine Augen, voll Traurigkeit diesmal. Doch da liebt er das zarte Wesen schon so sehr, dass er bereit ist, alles für sie aufzugeben. Er wird die Zimmermannswerkstatt verlassen und sich unerkannt als Geselle auf die Reise begeben. Sie werden ihn, ausgerechnet ihn, für einen Gewalttäter halten. Sie werden ihn verfluchen, weil er das arme Kind geschändet hat und sie werden Maria bedauern – und sie verschonen. Denn wenn er bekannt machen würde, dass er nicht der Vater ist – dann würden sie seine geliebte Maria steinigen. So will Josef die Schande und die Flucht wählen – aber er will keinesfalls der Vater für ein fremdes Kind sein!

Doch dann dieser seltsame Bote in der Nacht. Wer gehörlos ist, ist misstrauisch. Gibt es wirklich Engel? Und wenn schon: Können Engel gebärden? Und wenn schon: Haben Engel-Gebärden die gleiche Bedeutung? Als der Bote verschwunden ist und die Nacht ihn wieder umhüllt, liegt Josef noch lange wach und immer wieder sieht er die Botschaft des Engels vor Augen.

Doch mit dem Anbruch des neuen Tages und den ersten Sonnenstrahlen, die sein Zimmer erhellen, wird es auch hell in Josefs Seele. Er schenkt dem Boten Gottes und seiner Maria neues Vertrauen. Er will es wahrhaben, dass sie treu ist und dass Gott endlich handelt, um das Leben seines Volkes Israel zu verändern. Er hofft auf Veränderung auch für sein Leben und gern will er seinen Teil dazu beitragen, auch wenn er sich dies anders gedacht hat und das alles völlig unglaublich erscheint. Er würde sein Wissen und Hoffen gern mit Maria teilen, aber noch versteht sie ihn nicht.

Sie heiraten schneller als geplant. Doch Josef berührt seine junge Frau nicht. Sie teilen das Geheimnis, ohne sich mitteilen zu können. Doch in ihren Augen lesen sie Verwunderung, Verstehen, stille Gemeinschaft. Und dann müssen sie gemeinsam nach Bethlehem und Maria ist dankbar für Josefs Umsicht und Fürsorge, auch wenn am Ende nur der Stall bleibt.


Doch vor seiner Stimme, den Tönen, die aus seinem ungeübten Mund kommen, vor seiner Stimme hat Maria immer noch Angst. Es ist ihr fremd. Sie kennt ihn noch zu wenig und ihre Augen können aus seinen schnellen Gebärden noch keine Worte und Sätze lesen. Alles geht ein wenig zu schnell: Eben war sie noch Kind, dann das Eheversprechen mit dem ihr fremden, deutlich älteren, gehörlosen Mann. Die Begegnung mit dem Boten Gottes und die völlig unerklärliche Schwangerschaft. Die Entfremdung von Josef und gleich darauf seine Rückkehr. Die schnelle Hochzeit und die zarte Distanz des gehörlosen Ehemanns. Die Reise nach Bethlehem und schließlich die Geburt in der Höhle nahe der Stadt...

Und nun steht Maria, noch schwach, an der Tür. Ihre dunklen Augen suchen das Hell der Sterne und freuen sich am Leuchten dieses einen, besonderen Sterns. Ihr Herz betet, wie so oft in den zurückliegenden Wochen. Sie dankt für den Stern und das besondere Kind, das ihr geschenkt wurde und das sie der Welt schenken muss. Sie dankt für die stinkenden, ehrfürchtigen Hirten. Sie dankt für ihren gehörlosen Josef und seine großen, dunklen, liebevollen Augen.

Ein Schwätzer würde ihr nicht helfen. Sie weiß, dass Josef sie und ihr Geheimnis versteht – und sie weißt jetzt, dass sie seine Gebärden lernen wird und beginnt, ihn zu verstehen. Sie schaut auf den schlafenden Josef und das schlafende Kind: Geboren, um zu verstehen, zu versöhnen und zu verändern. Geboren, um uns den Weg ins Leben zu zeigen.

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Liebe Grüße
Walter Bechthold
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Walter Bechthold
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